Freie Republik HORA
Freie Republik HORA
Wer bin ich? Und wie denke ich über Theater?
Wer bin ich? Und wie denke ich über Theater?

von Nele Jahnke

In den Jahren 2001 bis 2004 habe ich viele Theater·Stücke gesehen.
Und ich habe bei den Stücken mitgemacht.
Das war in einem Jugend·Theater in Berlin.
Es heißt P14.

Bei dieser Theater·Arbeit haben wir uns viele Fragen gestellt.
Zum Beispiel diese:

  • Wo kommen wir her?
  • In welcher Zeit leben wir?
  • Was bedeutet das für uns selbst?
  • Und was bedeutet das für die Welt?

In dieser Arbeit haben wir viel über uns selbst verraten.
Wir haben zusammen gedacht.
Und wir haben zusammen etwas gemacht.

Wir haben uns gefragt:
Was haben die Theater·Stücke mit unserer eigenen Lebens·Geschichte zu tun?

Alle Mitglieder der Theater-Gruppe sind zwischen dem 9.11.1989 und dem 11.09.2001 groß·geworden.
In dieser Zeit gab es viele Veränderungen.
Es gab die DDR nicht mehr.

Unser eigenes Privat·Leben hat immer auch mit Politik zu tun.
Beides gehört zusammen.
Wir sind alle unterschiedlich.
Und jeder erzählt eine Geschichte anders.
Jeder hat einen anderen Blick.
Das finden wir gut.
Wir wollen mehr über unsere Verschiedenheit erfahren.
Wir wollen zusammen mutig sein.
Und verletzbar.

Dieser Austausch in meiner ersten Theater·Gruppe war gut.
Gemeinsam etwas tun.
Sich austauschen über Verschiedenheit.
Und über Politik nach·denken und sprechen.
Danach habe ich später immer wieder gesucht.
Bei HORA habe ich es gefunden.

Später habe ich in Zürich Theater·Regie studiert.
Ich habe an der Zürcher Hochschule der Künste (Abkürzung: ZHdK) studiert.

Ich habe mir Fragen gestellt.
Ich wollte wissen:
Wie denke ich über das Theater?
Und warum denke ich so darüber?
Wie denke ich über Kunst?
Und was hat dieses Denken mit mir zu tun?
Mit meinen eigenen Erfahrungen?

Ich will einen guten Raum schaffen.
Für mich und für Andere, für Künstler und Künstlerinnen.
Ich will alle einladen, zusammen zu denken.

Zuerst habe ich nur in meiner Freizeit Theater gespielt.
Dann habe ich Theater studiert.
Das heißt:
Ich habe an der Uni mehr über Theater gelernt.
Es sollte mein Beruf werden.

Ich wusste nicht:
Finde ich andere Menschen, die auch so über das Theater denken wie ich?
Finde ich wieder Partner und Partnerinnen für eine gute Zusammen·Arbeit?

Ich war unsicher.
Ich hatte Angst.
Ich habe zuviel nach·gedacht.
Ich dachte: Vielleicht schaffe ich es nicht.

Aber ich hatte einige gute Dozenten und Dozentinnen.
Sie haben meinen Blick·Winkel verändert.
Durch sie habe ich ein neues Spüren gelernt.
Ein neues Sprechen.
Ein anderes Denken.
Und Geduld.
Geduld mit mir selbst.
Geduld mit meinen Fragen.

Die ZHdK hat mein Denken über Theater verändert.
Ich wollte nicht mehr nur über das Theater nach·denken.
Ich wollte wieder etwas tun.
Ich wollte etwas tun und es mir dann ansehen.
Ich wollte mich selbst fragen:
Was heisst denn nun Regie für mich?

Ich hatte jetzt genauere Ideen dazu im Kopf.
Ich hatte die Ideen auch in meinem Bauch.
In den Armen.
In den Augen.
In den Ohren.
Und auf der Zunge.
So kamen meine Ideen auch auf die Bühne.

Irgendwann habe ich gemerkt:  Regie heißt für mich:
Ich will einen guten Raum schaffen.
Einen gemeinsamen Raum.
Einen Raum für mich und für andere Menschen.
Für Künstler und Künstlerinnen.
Ich will alle einladen, zusammen zu denken.
Etwas zu erfinden.

In diesem Raum habe ich immer wieder andere Rollen.
Ich bin die Mitte des Raumes.
Ich gebe allen Energie.
Ich bin ein Schutz·Schild des Raumes.
Ich beschütze und verteidige den Raum.
Ich bin das Auge des Raumes.
Ich schaue mir alles von oben an.

Aber eine Sache kann ich als Regisseurin nicht.
Ich kann den Schauspielern und Schauspielerinnen nicht sagen:
Warum seid Ihr da?
Warum seid Ihr in diesem Raum?
Diese Frage muss jeder Schauspieler und jede Schauspielerin für sich selbst beantworten.

So arbeite ich als Regisseurin.
Ich frage mich:
Welchen Einfluss hat das auf das Stück «Freie Republik HORA» (Abkürzung: FRH)?

Ich glaube:
Es hatte großen Einfluss auf FRH.
Einfluss darauf, dass es FRH überhaupt gibt.

Zu Beginn von FRH gab es nur eine Aufgabe für die Schauspieler und Schauspielerinnen:
Macht was ihr wollt und wie es euch gefällt!
Macht eurer Theater selber!

So hatte ich es selbst in der Theater·Gruppe P14 erlebt.

2 – Was sind meine Aufgaben beim Theater HORA?

Im Herbst 2012 habe ich beim Theater HORA angefangen.
Zuerst war ich lange Zeit zunächst Stellvertretende Künstlerische Leiterin.
Jetzt bin ich Co-Künstlerische Leiterin.

Was heisst das?
Was mache ich da eigentlich?

Oft arbeite ich täglich mit dem Ensemble zusammen:
Ich bin für die täglichen Proben verantwortlich.
Das heisst:
Ich mache die Türen auf.
Dann können die Schauspieler und Schauspielerinnen herein·kommen.

Wir proben zusammen.
Manchmal arbeiten wir an einem Projekt.
Manchmal führe ich Regie.
Das heisst:
Ich bestimme, was auf der Bühne passiert.
Manchmal tut es jemand anders.

Manchmal haben unsere Proben ein Ziel.
Wir wollen ein Ergebnis erreichen.
Und manchmal nicht.

Bei der Zusammen·Arbeit gibt es immer viele Fragen:

  • Fragen zur Mikro·Welle.
  • Fragen zu den Auf·Wärm·Liedern.
  • Fragen zu Geburtstags·Torten.
  • Fragen zum Privat·Leben und zur Liebe.

Wir reden darüber:

  • Welche Fragen haben mit dem Privat·Leben zu tun?
  • Und welche mit der Zusammen·Arbeit?

Wir reden über die kleinen Fragen.
Und über die großen.

Wir arbeiten in einem Raum zusammen.
Wir sind viele Menschen.
Wir alle haben verschiedene Wünsche und Bedürfnisse.
Dafür müssen wir zusammen Lösungen finden.
Wann reden wir über die Liebe?
Wann tanzen wir?
Wann hören wir die Musik von Helene Fischer?

Ich arbeite auch jeden Tag am Computer.
Ich rede mit anderen.
Und ich habe Gedanken in meinem Kopf:

Oft denke ich über diese Fragen nach:

  • Welche Stücke wollen wir spielen?
  • Zu welchen Themen wollen wir zusammen arbeiten?
  • Mit welchen Künstlern und Künstlerinnen wollen wir zusammen arbeiten?
  • Welcher Regisseur oder welche Regisseurin kann ein Projekt mit uns machen?
  • Welcher Choreograph oder welche Choreographin kann mit uns arbeiten? Ausserdem muss ich viele E-Mails beantworten.

Es gibt Anfragen von Festivals.
Und Anfragen von Wohnheimen.
Das heißt:
Es geht um die Kunst.
Und um die Form.

Nele Jahnke hat diese Skizzen gemacht, als sie den Text geschrieben hat.
Das hat ihr beim Denken geholfen.

Nele Jahnke hat diese Skizzen gemacht, als sie den Text geschrieben hat.
Das hat ihr beim Denken geholfen.

2.1 – Was war meine Aufgabe bei Freie Republik HORA?
Und welche Regeln gab es für mich?

Die 2013 haben wir mit Freie Republik HORA (Abkürzung: FRH) angefangen.
Bis 2016 gab es 3 Phasen.
Das heißt: Es gab 3 verschiedene Zeit·Abschnitte:

  • FRH Phase 1 von 2013 bis 2014
  • FRH Phase 2 von 2014 bis 2015
  • FRH Phase 3 von 2015 bis 2016

In dieser Zeit gab es eine Regel.
Wir als Künstlerische Leitung haben uns überlegt:

  • Wir mischen uns nicht ein.
  • Wir sagen nie unsere Meinung zu dem, was wir sehen.

In allen 3 Phasen gab es die Regel:
Alles was nicht verboten ist, ist erlaubt.

Verboten war nur:

  • sexuelle Übergriffe
  • Gewalt
  • etwas kaputt·machen, das mir nicht gehört

Manchmal hat sich jemand nicht an diese 3 Regeln gehalten.
Dann haben wir uns eingemischt.
Sonst hatten wir eine andere Rolle:
Wir waren die Assistenz von einem Regisseur oder einer Regisseurin.
Immer dann, wenn der Regisseur eine Assistenz haben wollte.
Wir haben aufgeschrieben, was passiert.
Wir haben Requisiten besorgt.

Und wir haben E-Mails geschrieben an Menschen, die vielleicht bei FRH mit·machen könnten.

Die Regel war:
Fragt euch nicht, was wir wollen.
Fragt euch, was ihr wollt.

In der Künstlerischen Leitung von FRH waren:

  • Michael Elber
  • Marcel Bugiel
  • Nele Jahnke

Wir hatten die Idee zu FRH.

Wir haben gesagt:
Wir wollen verändern, wer die Macht hat.
Wer bestimmt über das, was auf der Bühne passiert?
Warum bestimmen immer nur Menschen ohne Behinderung darüber?

Das wollten wir verändern.

Darum haben wir mit dem Projekt FRH angefangen.
Die Idee kam von uns.
Nicht von den Schauspielern und Schauspielerinnen.

Wir wollten von den Schauspielern und Schauspielerinnen wissen:

  • Welche Art von Kunst wollt ihr machen?
  • Welches Theater wünscht ihr euch?
  • Wie sieht das aus?
  • Was braucht ihr dafür, dass ihr es tun könnt?

Darum war die Regel:
Macht was ihr wollt und wie es euch gefällt.

Jetzt fasse ich kurz zusammen:
Was passierte in den Phasen 1 und 2?
Also in den Jahren von 2013 bis 2014

Dann will ich genauer beschreiben:
Was passierte in Phase 3?
Also von 2015 bis 2016.

In der ersten Phase gab es immer wieder Tryouts.
Das heißt:
Alle haben zusammen Dinge auf der Bühne ausprobiert.

Und es gab immer ein Gespräch mit dem Publikum.
Die Schauspieler und Schauspielerinnen konnten entscheiden:
Will ich bei dem Publikums·Gespräch dabei sein oder nicht?
Die Regisseure und Regisseurinnen konnten es auch frei entscheiden.

Wir als Künstlerische Leitung haben bei den Gesprächen nie unsere Meinung gesagt.
Wir haben die Gespräche aufgenommen.
Dann haben wir alles aufgeschrieben, was gesagt wurde.
So konnten alle es noch mal nach·lesen.
Auch in einfacher Sprache.

Diese Regeln für das Publikums·Gespräch blieb in allen 3 Phasen gleich.

Am Ende von Phase 1 ist etwas passiert.
Gianni Blumer hat gesagt:
Er will nicht mehr mit allen zusammen arbeiten.
Er hat keine Lust mehr.
Er will nicht mehr alles teilen.
Er will seinen eigenen Raum.
Und seine eigene Zeit.
Er will seine eigene Kunst auf der Bühne machen.
Er hat eigene Ideen.

Gianni Blumer und Nele Jahnke bei der Theaterarbeit

Gianni Blumer und Nele Jahnke bei der Theater·Arbeit

Damit hat Phase 2 angefangen.

In Phase 2 gab es:

  • Einzel-Arbeiten
  • Regie von 2 Personen
  • Regie von 3 Personen
  • Gruppen-Arbeiten
  • und vieles mehr

Phase zwei dauerte ein bis 2 Jahre.
Danach hatten wir als Künstlerische Leitung das Gefühl:
Wir haben alles gesehen, was die HORA-Mitglieder auf der Bühne machen.

Wir dachten:
Wir wollen ihnen mehr Raum geben.
Sie sollen neue Möglichkeiten haben.
Sie sollen mit Schauspielern und Schauspielerinnen aus anderen Gruppen zusammen-arbeiten können.
Und sie sollen Geld ausgeben können für ihre Stücke.

Das waren dann die Regeln für Phase 3.

Und es kam noch eine neue Regel für Phase 3 dazu.
Diese Regel war für jeden Regisseur und jede Regisseurin eine andere.
Wir haben sie uns ausgedacht.

Alle HORA-Mitglieder haben dann ihre Ideen aufgeschrieben.
Oder sie haben sie diktiert.
Dann hat jemand anderes die Ideen aufgeschrieben.
Sie haben Pläne gemacht.
Aber: Sie haben ihre Namen nicht dazu·geschrieben.

Es gab eine Jury.
In der Jury gab es 25 Personen.
Diese Personen wussten nicht:
Von wem ist welche Idee?
Sie haben ausgesucht:
Welche Ideen gefallen mir am besten?
Welche Ideen will ich auf der Bühne sehen?

Wir konnten nur 6 Projekte machen.
Für mehr Projekte hatten wir kein Geld.
Darum mussten wir aus·suchen.

Ich möchte noch mal sagen:
Wir haben unsere Meinung zu den Stücken nicht gesagt.
Wir haben nicht gesagt, was wir gut finden.
Wir haben nicht gesagt, was wir schlecht finden.

Und wir haben geübt:
Man sollte unsere Gedanken auch nicht in unseren Gesichtern sehen können.

Wir wollten nicht lachen.
Wir wollten unsere Gedanken nicht zeigen.
Das war schwer.

Jetzt möchte ich genauer beschreiben:
Wie haben wir gearbeitet?
Was ist bei Freie Republik HORA passiert?

2.2 – Wie haben wir gearbeitet?

Gianni Blumer hat Regie geführt.
Das heißt:
Er hat sein eigenes Stück gemacht.
Er hatte einen großen Wunsch:
Helene Fischer sollte in seinem Stück mit·spielen.

Gianni Blumer hat jeden Tag eine neue Telefon·Nummer mit·gebracht.
Diese Frauen hießen alle Helene Fischer.
Wir haben sie alle angerufen.
Aber sie waren nicht die berühmte Sängerin.
Sie hatten nur den gleichen Namen.

Wir haben uns Übungen ausgedacht.
Wir mussten alle erst lernen:
Was ist Regie?
Wie arbeitet ein Regisseur oder eine Regisseurin?
Wie können wir mit Sprache arbeiten?
Und wie können wir ohne Sprache arbeiten?
Welche anderen Möglichkeiten gibt es?

Wir als künstlerische Leitung haben die Gespräche geleitet.
Aber wir wollten niemanden beeinflussen.
Wir haben unsere eigene Meinung nicht gesagt.
Aber wir hatten 2 Ziele:

  1. Es sollten nicht alle gleich·zeitig reden.
  2. Alle 14 HORA-Mitglieder sollten mit·reden.
    Nicht nur die, die immer ihre Meinung sagen.
    Auch die, die sonst oft nichts sagen.

Wir haben uns Übungen ausgedacht.
Zum Beispiel:

HORA-Mitglied Tiziana Pagliaro kennt sich nicht gut mit Geld aus.
Sie weiß oft nicht:
Was kosten die Dinge?

Wir haben einen Geld·Koffer gebastelt.
In dem Geld-Koffer waren 100 Franken.
Zusammen haben wir geübt:
Was kann man von diesem Geld kaufen?

Man kann kein Auto davon kaufen.
Aber man kann 20 Pizzen kaufen.
Danach ist der Geld·Koffer fast leer.
So hat Tiziana Pagliaro es gelernt.

Wir haben jeden Tag mit den Regisseuren und Regisseurinnen geredet.
Wir wollten wissen:

  • Was brauchen sie?
  • Was wollen sie beim Publikum auslösen?
  • Was wollen sie erreichen?

Dann haben wir weiter·gearbeitet.

Und wir wollten, dass die HORA-Schauspieler und Schauspielerinnen etwas Neues lernen.
Wir wollten, dass sie neue Bilder kennen·lernen.
Und neue Musik.
Dann gibt es diese Bilder und diese Musik auch in ihren Stücken.

Ein Gespräch der Regisseure bei der Freien Republik HORA

Schauspieler, Regisseure und Künstlerische Leitung sprechen mit·einander

So haben wir die Schauspieler und Schauspielerinnen beeinflusst.
Wir haben uns gefragt:
Ist das erlaubt?
Wer entscheidet das?
Warum tun wir das?
Wollen wir die Kunst auf der Bühne sehen, die wir selbst mögen?

Oder wollen wir ihnen mehr zeigen?
Sodass alle mehr Auswahl haben?

2.3 – Ich habe bei FRH verschiedene Rollen.
Was hat das mit Macht zu tun?

Ich gehöre zur Künstlerischen Leitung vom Theater HORA.
Wir hatten die Idee zu FRH.
Trotzdem durften wur jetzt unsere Meinung zu den Stücken nicht mehr sagen.
Ich war Assistentin der verschiedenen Projekte.
Was heißt das?
Wer hat die Macht?
Wer entscheidet?
Wie verändert sich das?
Und: Ist Macht noch wichtig?

Menschen mit Behinderung hatten viele hundert Jahre lang keine Macht.
Wie kann man sie stärken?

Was passiert dann?
Nehmen sie sich die Macht?

Jetzt möchte ich genauer erzählen:
Was haben diese verschiedenen Rollen mit mir gemacht?

2.4 – Welche Erwartungen hatte ich an die Freie Republik HORA – Phase 3

Im Rückblick kann ich nicht mehr genau sagen:
Was habe ich erwartet?
Und: Warum habe ich mit diesem Experiment angefangen?

Wir fanden es interessant.
Wir wollten wissen:

  • Welche Art von Theater machen die HORA-Schauspielerinnen und Schauspieler?
  • Wie bringen sie ihre Kunst auf die Bühne?
  • Und was brauchen sie dafür?

Und wir waren gespannt auf die Publikums·Gespräche.
Wir wollten, dass das Publikum mit den Schauspielern und Schauspielerinnen spricht.
Dass sie mit·einander über Theater reden.
Sonst finden diese Gespräche fast immer ohne Menschen mit Behinderung statt.
Wir dachten:
Vielleicht finden alle zusammen eine neue Sprache.

Ich will in meinem Text nur kurz zu den Publikums·Gesprächen schreiben.
Meine Kollegin Sarah Marinucci hat mehr darüber geschrieben.
Sie hat sie genau untersucht.

2.5 –Streit

Es gab auch Streit bei FRH.
Wir hatten eine Idee.
Wir hatten eine Vorstellung.
So sollte FRH werden.
Wir haben es uns vorher ausgedacht.
Aber wir sind auch Menschen.
Wünsche und Vorstellungen verändern sich.
Sie verändern sich durch viele Gespräche.
Und durch die vielen verschiedenen Menschen.

Diese Veränderung ist manchmal gut.
Sie macht mich glücklich.
Aber manchmal macht sie mich auch traurig.
Ich hatte es mir anders vorgestellt.
Dann macht man trotzdem weiter.
Und dann passieren wunderbare Dinge.
Fantastische Dinge.
Sie sind so gut.
So gut hätten wir sie uns nie ausdenken können.

Aber manchmal gibt es auch Streit.
So war es auch in der ersten Phase von Freie Republik.

Die einzige Aufgabe in Phase 1 war:
«Macht was ihr wollt und wie es euch gefällt.»

Wir als künstlerische Leitung hatten die Idee dazu.
Wir dachten:
Jetzt passiert ganz viel.
Wir dachten:
Die Schauspieler und Schauspielerinnen basteln.
Sie bauen.
Sie proben.
Sie probieren viel aus.

Aber so war es nicht.

Es passierte nur wenig.
Alle lagen herum.
Sie haben Serien auf dem Handy geguckt.

Zum Beispiel:
«Der Berg-Doktor».
Und «Berlin Tag & Nacht».

Und alle aßen Schoko-Brötchen.

Dann haben wir etwas verändert:
Es gab Tryouts vor einem Publikum.
Das heißt:
Wir haben Menschen eingeladen zu zu schauen.
Die Horas haben sich Sachen ausgedacht für die Bühne.
Sie haben getanzt.
Sie haben gesungen.
Manchmal auch «nur» rum·gessesen.

Danach passierte viel mehr.

Einzelne Schauspieler und Schauspielerinnen haben sich ausprobiert.
Sie haben zum ersten Mal Regie geführt.
Sie waren darin sehr streng.
Sie wollten alleine über alle anderen bestimmen.
Auch darüber gab es Streit.

Ich beschreibe es an einem Beispiel.
An der Arbeit von Matthias Brücker.

Matthias Brücker hat das Stück «Ich sage kein Wort» gemacht.
Für sein Stück gab es eine Regel:
Die Schauspielerin Tiziana Pagliaro darf in seinem Stück nicht mit·spielen.
Es darf auch nicht über sie gesprochen werden.
Sie spielt auf der Bühne keine Rolle.

Warum haben wir uns diese Regel ausgedacht?
Zu dem Zeit·Punkt waren Matthias Brücker und Tiziana Pagliaro ein Paar.
Sie hatten eine Beziehung.
Das war oft schwierig.
Sie hatten große Leidenschaft.
Sie waren sehr verliebt.
Aber es gab auch oft Streit.
Das war auch bei den Proben so.
Manchmal war es sehr anstrengend für alle.
Die Gruppe konnte nicht proben.

Darum gab es die Regel für Matthias Brückers Stück.

Er hatte dann eine Idee:
In dem Stück ging es um das Leben von Tiziana Pagliaro.
Und um sein eigenes Leben.
Verschiedene Schauspieler und Schauspielerinnen von HORA sollten dabei mit·spielen.

Und 3 Schauspieler und Schauspielerinnen, die nicht zu HORA gehören.
Matthias Brücker hatte schon vorher mit ihnen gearbeitet.

Matthias Brücker hat zum ersten Mal Regie geführt.
Er hat es auf seine eigene Art gemacht.
Wir nannten das: Power· Regie.

Matthias Brücker gab viele Befehle auf der Bühne.
Zum Beispiel hat er Namen gebrüllt:
Spieler x, y, z auf die Bühne.
Das Thema ist Sex.
Zieht euch alle aus.
Nur die Männer.

Dazu das Lied Mr. Bombastic.

Nach einer Minute hat er die Szene wieder beendet.

Der Regisseur Matthias Brücker bei der Arbeit

Der Regisseur Matthias Brücker war manchmal sehr streng.

Der Regisseur Matthias Brücker bei der Arbeit.

Der Regisseur Matthias Brücker war manchmal sehr streng.

Dann brüllte er:

Spieler x, y, z von der Bühne runter.
Spieler a und b auf die Bühne.
Das Thema ist Wohn-Heim.
Das Lied ist Lose Yourself von Eminem.

Nach einer Minute beendete er die Szene wieder.

So hat es sich immer wieder wiederholt.

Ich saß dabei.
Und ich durfte kein Wort dazu sagen.
Ich durfte nicht sagen:
Du bist ein Macho.
Oder:
Es fühlt sich nicht gut an für alle anderen.
Sie können nicht mit·reden.

Darf nicht jeder alleine entscheiden?
Hat nicht jeder das Recht dazu?

Woher kommt Matthias Brückers Idee?
Warum verhält er sich so?
Wurde er selbst so behandelt?
Wurden seine Kollegen und Kolleginnen so behandelt?
Warum ist er so hart?
Glaubt er: Nur so bekommt er Respekt?

Diese Fragen stelle ich mir.
Aber ich sage sie nicht laut.
Sie sind nur in mir drin.
Aber warum denke ich:
Ich bin damit nicht einverstanden?

Wir als künstlerische Leitung haben uns nicht eingemischt.
Wir haben ihn so arbeiten lassen.
Die Regel war:
Alles was nicht verboten ist, ist erlaubt.

Verboten war nur:

  • sexuelle Übergriffe
  • Gewalt
  • etwas kaputt·machen, das mir nicht gehört

Nur einmal haben wir uns eingemischt.
Matthias Brücker wollte die Mittags·Pause streichen.
Wir fanden:
Das ist Gewalt.
Wer essen will, muss eine Mittags·Pause haben.
Aber stimmt das?
Ist es Gewalt?
Wo fängt Gewalt an?

Das ist nicht immer leicht zu entscheiden.
Man muss immer wieder genau hin·sehen.
Im Theater geht es oft um Grenzen.
Oft werden Grenzen überschritten.
In diesem Projekt haben wir immer wieder darüber nach·gedacht.
Und darüber gesprochen.
Das ist nicht in allen Projekten so.

Und wir haben die Schauspieler und Schauspielerinnen stark gemacht.
Wir haben ihnen immer wieder gesagt:
Ihr dürft nein sagen.
Ihr könnt Grenzen setzen.
Diese Grenzen sind bei jedem Menschen anders.
Die Grenzen werden respektiert.

Und wir haben darüber geredet:
Es gibt viele verschiedene Arten, Regie zu führen.
Jeder Mensch macht es anders.
Man muss erst heraus-finden:
Wie ist es für mich richtig?

Darüber haben wir mit den Schauspielern und Schauspielerinnen geredet.
Und mit den Regisseuren und Regisseurinnen.
Und wir haben Feedback-Runden gemacht.
Das heißt:
Alle konnten eine Rückmeldung geben.
Sie konnten ihre Meinung sagen.

Alle außer uns.
Wir als künstlerische Leitung haben unsere Meinung nicht gesagt.
Das war oft schwer.
Wir haben nur geguckt:
Wer redet in welcher Reihenfolge?
Können alle alles verstehen?
Können alle etwas sagen?
Auch die, die langsamer reden?
Oder die, die nur selten etwas sagen?
Alle sollten ihren Raum haben.
Und genug Zeit.

Alle konnten Fragen stellen.
Und alle konnten zusammen nach·denken.

Jeder Regisseur und jede Regisseurin konnte sagen:
Welche Schauspieler und Schauspielerinnen sollen in meinem Stück mit·spielen?
Und die Schauspieler und Schauspielerinnen konnten entscheiden:
Will ich mit·spielen oder nicht?
Alle konnten es frei entscheiden.
Aber dann mussten sie bei der Entscheidung bleiben.
Nur so war klar:
Wer spielt in welchem Stück mit?
Und wer nicht?
Alle können sich darauf verlassen.

Auch in diesen Gesprächs-Runden hatte ich immer wieder Zweifel:
Was machen wir hier?
Wer sagt:
So funktioniert Theater?
Machen wir es immer wieder so, wie wir es kennen?

Wo zwingen wir die Regisseure und Regisseurinnen zu etwas?

Ein Beispiel dafür ist die Zeit.
Meistens gibt es Regeln für die Proben·Zeit.
Oft dauert die Proben·Zeit 6 bis 8 Wochen.
Egal, um welches Thema es geht.
Egal, wie gearbeitet wird.
Egal, wie schnell oder langsam der Regisseur forscht.
Egal, wie schnell alle denken.

Unsere Regel war:
In Phase 3 hatten alle Regisseure und Regisseurinnen eine Woche Zeit.
Das hatte mit Geld zu tun.
Und mit Struktur.

Hatte das Einfluss auf die Arbeit?
Hat es die Regisseure und Regisseurinnen unter Druck gesetzt?

Hat Matthias Brücker deshalb gebrüllt?

Viele HORA-Mitglieder können sich Zeit schwer vorstellen.
Sie wissen nicht genau:
Ist ein Tag länger als eine Woche?
Oder kürzer?
Wie lang ist die Mittags·Pause?
Und sind 3 Stunden Proben länger oder kürzer als die Pause?

Wir haben Uhren gemalt.
Wir haben Zeiten gestoppt.
Wir haben geguckt:
Wie können sich alle Zeit besser vorstellen?
Zum Beispiel so:

10 Minuten proben sind ungefähr so lang wie 3 Lieder von Helene Fischer.
6 Wochen proben ist ungefähr so lang wie die Sommer·Pause.

Alle Regisseure und Regisseurinnen duften eine Woche lang mit der Gruppe arbeiten.
Dafür gab es noch einen anderen Grund.
In dieser Zeit sollten die Regisseure und Regisseurinnen Erfahrungen machen.
Sie erleben selbst:
Was brauche ich?
Wie kann ich Regie führen?
Was funktioniert für mich?

Sara Hess hat auch ein Stück gemacht.
Es war in Phase 3 von Freie Republik HORA.
Es heißt «Über Leben auf der Strasse».
Sie sagte:
Sie braucht mehr Zeit für ihr Stück.
Nach 3 Tagen kriegte sie Stress.

Die Regisserin Sara Hess bei der Arbeit

Die Regisseurin Sara Hess bei der Arbeit.

Die Regisseurin Sara Hess bei der Arbeit

Die Regisseurin Sara Hess bei der Arbeit

Sie wusste nicht:
Wie soll ich das alles in einer Woche schaffen?

Frankie Thomas hat das Stück «Die Räuber» gemacht.
Er glaubte:
Alle können ihn gut verstehen.
Auf Fragen hat er immer geantwortet mit:
«Guet, guet für mich ist alles guet und bald ist Street Parade juhu.»
Nach 2 Tagen dachte er:
Jetzt können wir eine Aufführung machen.

Ich habe mich gefragt:
Manche Regisseure und Regisseurinnen können besser sprechen als andere.
Manche haben Schwierigkeiten mit der Sprache.
So war es bei Frankie Thomas.
Wie können wir diese Regisseure und Regisseurinnen gut unter·stützen?
Sodass sie ihr eigenes Stück machen können.
Sodass sie mit den Schauspielern und Schauspielerinnen über ihre Ideen und Pläne sprechen können.

Wie können sie ihre Geschichte erzählen?

Ich möchte jetzt genauer erklären:
Wie hat  Frankie Thomas gearbeitet?
Die Regel für sein Stück war:
Er muss Regie führen beim Stück «Die Räuber» von Friedrich Schiller.

Wir hatten ihm vorher viele Monate lang «Die Räuber» gezeigt:

Als Kinder·Film.
Als Comic.
In einfacher Sprache.
In gemalten Bildern.
In Zusammenfassungen.
Wir haben es vorgelesen.
Und wir haben es gezeigt.

Frankie Thomas hat dann einen Text diktiert:

«Dieses Theater-Projekt spielt in einem Schloss.
Das Bühnen-Bild ist aus Papp-Schachteln.

In dem Schloss leben Räuber.
Unter ihnen gibt es Karl, Hans und Obelix.
Der Vater war der böse Obelix und geht im Schloss ins Gefängnis.»

Nicht alle HORA-Schauspieler und Schauspielerinnen wollten bei Frankie Thomas Stück mit·spielen.
Neben den HORA-Schauspieler und Schauspielerinnen spielten noch 3 andere Schauspieler und Schauspielerinnen mit.

So hat Frankie Thomas geprobt:
Er machte die Rollos runter.
So war der Raum dunkel.
Dann stellte er die Disco·Kugel an.
Er setzte sich hinter den Computer.

Er spielte laute Musik.
Meistens Techno·Musik.
Aber manchmal auch Schlager.
Oder Pop·Musik.
Die Musik war sehr laut.
Meistens schaute Frankie Thomas auf seinen Computer.
Nur sehr selten guckte er auf die Bühne.

Frankie Thomas schielt stark.
So kann man nicht immer erkennen:
Wo guckt er hin?

Oder er hat getanzt.
Dabei war er ganz versunken.
Er hat wenig von seiner Umgebung mit·bekommen.
Manchmal tanzte er auch auf der Bühne.
Wie ein Meister der Geister.
Am liebsten, wenn die Nebel·Maschine an war.

Am ersten Proben-Tag legte Frankie Thomas sich einen roten Umhang um.
Er behielt ihn die ganze Zeit an.
Bis zur Aufführung.

Ganz selten sagte er den Schauspielern und Schauspielerinnen:
Sie sollen Räuber spielen.
Sie sollen etwas überfallen.

Es war die ganze Zeit über dunkel.
Und die Musik war sehr laut.
Man fühlte sich wie in einer Disco eingesperrt.
Man hatte schon morgens um 10 Uhr vergessen:
Welches Wetter ist gerade draußen?

Auch dazu durfte ich meine Meinung nicht sagen.
Es war wieder nicht leicht für mich.
Ich hatte jeden Tag weniger Lust auf die Proben.
Aber ich konnte es mir nicht aus·suchen.

Wir konnten die Proben nicht verlassen.
Wir hatten die Verantwortung.

Aber aus diesen Proben ist etwas Wundervolles entstanden.
Es war sehr besonders.
So hätte man es nicht planen können.

Nach 3 Tagen waren einige Schauspieler und Schauspielerinnen sauer.
Sie haben sich gewehrt.
Sie fanden:
Das ist kein Stück!

Nikolai Gralak fand:
Frankie Thomas muss die Geschichte der Räuber erzählen.
Er muss entscheiden:
Wer spielt welche Rolle?
Und er wollte wissen:
Wo ist Obelix?

Darüber gab es Gespräche.
Dann hat Frankie Thomas verschiedene Dinge fest·gelegt.
Aber er hat die Dinge meistens direkt wieder vergessen.
Die HORA-Mitglieder wussten nicht:
Wie geht es jetzt weiter?
Frankie Thomas hat es ihnen nicht gesagt.

Die HORA-Mitglieder haben die 3 externen Schauspieler und Schauspielerinnen gefragt.
Extern heißt: Diese 3 Personen gehören nicht zum Theater HORA.
Diese 3 Schauspielerinnen haben dann gesagt:
Was passiert in welcher Reihenfolge?
Vorher hatte niemand die Macht auf der Bühne.
Frankie Thomas hat sie nicht übernommen.
Diese 3 Personen haben sie dann über·nommen.
Sie wollten Frankie Thomas helfen.
Aber war es wirklich eine Hilfe?
Oder konnte sich Frankie Thomas nur nicht verteidigen?
Fehlte ihm die Sprache dafür?
Liegt es daran, dass er Lern·Schwierigkeiten hat?
Wie kann man ihn schützen?
Und braucht er Schutz?

Wie würde ich es selbst in der Situation machen?
Was würde ich machen, wenn ich immer weiter zu Techno·Musik tanzen soll?
Wenn zum Beispiel Barbara Frey Regie führt.
Was, wenn sie keine Anweisungen gibt?
Was, wenn sie mit sich selbst tanzt?
Was, wenn sie nur auf ihren Computer guckt?
Würde ich dann sagen:
So geht es für mich nicht?

Brauche ich dann Schutz?
Brauche ich eine Rück·Meldung?

Was müsste anders sein?
Was wäre, wenn vorher jemand sagt:
Es ist ein Experiment.
Wir probieren etwas zusammen aus.
Ich gebe keine Rück·Meldung.
Wir machen es mit Absicht so.
Wir wollen gucken:
Was macht das mit der Stimmung?
Was verändert sich dadurch?

Wäre es dann anders gewesen?

Oder wollte Frankie Thomas genau das?
Konnte er es nur nicht sagen?
Muss man etwas sagen können, damit es funktioniert?

Das glaube ich nicht.

Ich glaube:
Es ging Frankie Thomas um die Stimmung.
Es ging ihm mehr um Gefühle.
Weniger um das Denken.

Die Kunst ist das Wichtigste.
Ich vergesse alles andere.
Auch die Absprachen.

3 – Betrachtungen zum Ende oder nur ein Zwischen·Stand?

Ich denke darüber nach:
Was sich seitdem bei HORA verändert?
Bei den Schauspielern und Schauspielerinnen?
Bei den Regisseuren und Regisseurinnen?
Beim Publikum?
Bei mir?

Ich finde:
Die HORA-Mitglieder sind sehr viel selbst·bewusster geworden.
Die Schauspieler und Schauspielerinnen.
Die Regisseure und Regisseurinnen.
Sie fragen nicht mehr nur:
Was wollen die anderen?
Was will die künstlerische Leitung?
Sie fragen sich immer wieder selbst:
Was will ich?

Ich merke:
Die HORA-Mitglieder haben neue Erfahrungen gemacht.
Sie wissen jetzt mehr über verschiedene Formen von Theater.
Über Regie.
Und darüber, wie alle mit·bestimmen können

Alle hören genauer zu.
Sie fragen genauer nach.
Sie sagen genauer, was sie meinen.

Es gab ein Gespräch nach der Aufführung von Matthias Brückers Stück.
Dieses Gespräch hat mich sehr berührt.
Gianni Blumer und Matthias Brücker haben sehr verschiedene Vorstellungen von Theater.
Darüber haben sie mit·einander gesprochen.
Sie haben verhandelt.

Ich habe Regie geführt beim Stück EGOTOPIA.
Gianni Blumer fragte danach mehr·mals:
Wie will ich das Stück zusammen·bauen?
Er gab mir Tipps.

Mein Gespräch mit den HORA-Mitgliedern übers Theater hat sich verändert.

Sie können die Arbeit der Leitung jetzt besser einschätzen.
Sie wissen:
Was heißt es, Regie zu führen?
Was heißt es, das Stück zu leiten?

Beim Publikum ist es unterschiedlich.
Einige wenige Zuschauer und Zuschauerinnen kamen immer wieder.
Damit meine ich nicht die Eltern der Schauspieler und Schauspielerinnen.
Die Zuschauer und Zuschauerinnen haben immer genauer nach·gefragt.
Auch wenn sie keine Antwort bekamen.
Auch wenn statt·dessen über die Liebe geredet wurde.
Das Publikum war mutig:
Sie haben auch gesagt: Das hat mir nicht gefallen.

Viele Theater·Leute finden Freie Republik HORA spannend.
Sie mögen die Idee.

Aber nur wenige kamen zum Zusehen.

Wir haben auch untersucht:
Was schreiben die Zeitungen über die Stücke?

Nur selten wurden die Schauspieler und Schauspielerinnen genauer beschrieben.
Und nie hat eine Zeitung geschrieben:
Es hat uns nicht gefallen.

Vielleicht denken die Journalisten und Journalistinnen:
So darf man nicht über Menschen mit Behinderung schreiben?
Oder vielleicht wissen sie nicht:
Wie schreibt man über Theater von Menschen mit Behinderung?

Ich frage mich oft:
Haben wir den HORA-Mitgliedern gesagt und gezeigt:
So führt man Regie !
Auch wenn wir es nicht wollten?
Haben wir die Regisseure und Regisseurinnen wirklich gestärkt?
Konnten sie ihre eigenen Ideen auf die Bühne bringen?
Oder waren es doch eigentlich unsere Ideen und Vorstellungen?

Haben wir ihnen gesagt:
Das sind die Werkzeuge?
So ist die Arbeits·Weise?
Weil wir es so kennen?
Weil wir denken:
So ist es richtig?

Ist die Gruppe dadurch stärker geworden?
Oder schwächer?

Oft beobachte ich die Proben.
Dann denke ich:
HORA ist stark.
Wir sind alle sehr unterschiedlich.
Wir haben alle Respekt vor·einander.
Wir gehen gut mit·einander um.
Wir klären unseren Streit auf eine gute Art.

Ich frage mich auch:
Haben wir den HORA-Mitgliedern nur gesagt:
Ihr seid Regisseure und Regisseurinnen.
Oder sind sie es wirklich?
Was macht jemanden zu einem Regisseur oder einer Regisseurin?
Muss man dafür studieren?
So wie ich?

Muss man mehrere Stücke machen?
Muss man Geld dafür bekommen?
Muss man an verschiedenen Theatern gearbeitet haben?

Und ist man Regisseur oder Regisseurin, wenn man Assistenz braucht?
Brauchen nicht fast alle Regisseure und Regisseurinnen Assistenz?
Auch ich brauchte in meiner letzten Arbeit eine Regie-Assistenz.
Sonst hätte ich es nicht geschafft.

Ich kann nicht alles gleichzeitig machen.
Ich vergesse manchmal die Zeit.
Ich denke:
Die Kunst ist das Wichtigste.
Ich vergesse alles andere.
Auch die Absprachen.

Ich habe mir nach Freie Republik HORA viele Fragen gestellt.
Was gehört alles zu Regie ?
Ist das immer klar?
Gehört auch Energie dazu?
Und Stimmung?
Gefühle?
Muss ich immer genau wissen, was ich tue?
Und muss ich wissen, was als nächstes passiert?

Muss ich gut mit Menschen umgehen können?

Auf diese Fragen kann man viele verschiedene Antworten finden.
Ich kann nur meine eigenen Antworten finden.
Ich weiß:
Ich habe keine Lust auf Theater, bei dem man Angst haben muss.
Ich mag es nicht, wenn eine Person über alle anderen bestimmt.
Ich mag es, wenn mehrere Menschen zusammen über ein Stück nach·denken.

Ich mag es, wenn alle sich aus·tauschen.
Wenn alle mit·reden.
Wo alle eine eigene Meinung haben.
Und alle bringen das Stück zusammen weiter.

Ich hatte in der Arbeit an FRH immer wieder Zweifel.
Ich war unsicher.
Es war schwierig.
Ich war müde.
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.

Aber:
Ich finde, Freie Republik HORA war wichtig.
Es war richtig.
Ich bin froh, dass wir diesen Weg gegangen sind.

Ein Foto von Nele Jahnke. Sie ist Theater·Wissenschaftlerin.

Nele Jahnke leitet das Theater HORA zusammen mit Michael Elber. Bei «Freie Republik HORA» war sie Assistentin. Eine Assistentin hilft bei den Proben. Sie hat Regie an einer Hoch·Schule studiert.

Mehr über die Freie Republik HORA

Bei HORA führen Menschen mit Behinderung Regie. Deshalb haben wir neu über Regie nach·gedacht.

Wie reden wir über Schauspieler und Schauspielerinnen mit Lern· Schwierigkeiten?

Die Mitglieder von HORA haben Tagebuch geführt. Hier kann man etwas davon lesen.

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